Freischreiben: Jana Beňová, Ádám Berta, Lajos Parti Nagy

Veröffentlicht am 30. Mai 2016 in der Kategorie

MONTAG, 6. JUNI / 19.00 Uhr Gespräch: Jana Beňová, Ádám Berta, Lajos Parti Nagy, Wilhelm Droste Gesprächsmoderation: Thomas Wolkinger Dolmetschung: Daniela Humajová

MONTAG, 6. JUNI / 20.00 Uhr Lesung: Jana Beňová, Ádám Berta, Lajos Parti Nagy Einführung/Moderation: Wilhelm Droste Lesung der Übersetzung: Ninja Reichert ImCubus, Mariahilferplatz 3/1

Ádám Berta Jana Beṅová Lajos Parti Nagy - © Lenke Szilágyi

 

Freischreiben

Einladende Lockrufe an faszinierende Orte voll Glück und Seligkeit sind kaum zu erwarten, wenn am 6. Juni Jana Beṅová (1974) aus der Slowakei sowie Ádám Berta (1974) und Lajos Parti Nagy (1953) aus Ungarn von ihren Lebensräumen und schwierigen Heimaten in Graz lesen und erzählen werden. Freuen aber dürfen wir uns auf die sehr unterschiedlichen Sprachgewalten im Erzählton der drei Autoren, die hier aufeinander stoßen. Sie reiben sich beträchtlich, das lässt auf gute Gespräche hoffen.

Kooperationsveranstaltung von Kulturzentrum/Minoriten & FH Joanneum Graz, ISOP, Internationales Haus der Autorinnen und Autoren Graz, Kulturvermittlung Steiermark

————————————————————–

Vom Glück und Unglück kleiner Literaturen

Lajos Parti Nagy wird eine Geschichte aus dem Jahre 1994 lesen, die spielt auf dem prächtigen Freiheitsplatz (Szabadság tér) in der Pester Innenstadt, da wird von monströsen und gespenstischen Metamorphosen berichtet, freche Metaphern beschwören apokalyptische Abgründe, am Ende wird entwarnt, doch aus heutiger Sicht ließe sich besorgt fragen: Sind die Gespenster von damals inzwischen nicht alle viel größer, aggressiver, gefräßiger und deprimierender geworden? Wird der Name des Platzes bei den wuchernden Freiheitsverlusten in Ungarn nicht mit jedem Tag zynischer? Bräuchte es jetzt vielleicht eine andere Sprache, um das heutige Gruseln kritisch zu markieren und ernsthaft zu bekämpfen? Parti Nagy hat in den letzten Jahren nahezu ohne Unterbrechung politisch kämpfend geschrieben, schreibend gekämpft, mit spöttischen Märchen die politischen Verirrungen des Landes zu benennen versucht. Wie sieht er die rettenden Chancen der Sprache heute? Schärft der Blick von Graz auf Budapest die Augen?

Jana Beṅová und Ádám Berta sind Kinder einer anderen Zeit. Bis zur Pubertät erlebten sie die müden Gesellschaften des tschechoslowakischen und ungarischen Staatssozialismus, sie wurden erwachsen im Trubel des zusammenbrechenden Ostblocks und erlebten dann die Pubertät osteuropäischer Demokratieversuche, eine politische, gesellschaftliche Pubertät, die in der inzwischen unabhängigen Slowakei wie auch in Ungarn seit mehr als einem viertel Jahrhundert kein überzeugendes Ende zu finden scheint.

Wie unbeschreiblich groß war 1989 die Freude im östlichen Mitteleuropa über das Zusammenbrechen des unseligen Warschauer Paktes. Gerade die Schriftsteller atmeten auf, denn es schien so, als müssten sie jetzt nicht mehr politische Moralapostel, Wahrsager und Freiheitshelden sein, denn funktionierende Demokratien würden solch gewichtigen Rollen als Nebenbeschäftigung überflüssig machen. Das Volk schien jetzt keine Stellvertreter mehr zu brauchen und würde endlich souverän die Staaten auf demokratische und gerechte Bahnen lenken. Doch es kam etwas anders: Aus den diktatorisch beherrschten sowjetischen Blockstaaten wurden kleine, wirtschaftlich rückständige Randstaaten einer Europäischen Union, deren traditionelle Zentren wirtschaftlich und politisch dominieren. Der Traum, wirtschaftlich schnell Anschluss zu gewinnen an den Reichtum in London, Paris und Berlin, gerät in immer größere Ferne. Armut schafft neue Korruption, die sich mit alten Seilschaften verbindet. Statt des euphorischen Aufbruchs in deutlich bessere Welten herrschen Frustration und Resignation, ein idealer Nährboden für populistische Heilsversprecher und diktatorische Phantasten. Immerhin: es herrschen auch Pressefreiheit, Marktgesetze, Pluralität, doch die Rolle der Schriftsteller verliert sich in Beliebigkeit, sie werden kaum mehr gehört, auch wenn sie durchaus etwas zu sagen hätten.

Mit dieser Situation müssen Jana Beṅová und Ádám Berta fertig werden. Die Autorin aus Bratislava liest einen publizistischen Text über offene Gewalt auf den Straßen ihrer Stadt, sie beklagt mangelnde Solidarität von Mensch zu Mensch, sie ist wütend und offen politisch. Ihr in deutscher Übersetzung vorliegender Roman Abhauen zeugt schon im Titel von einer ähnlichen Wut, hier ist die Hoffnung auf grundlegende Verbesserungen am Ort verloren gegangen, da hilft nur mehr die Flucht in andere Welten. Erfreulich, dass die Autorin selbst noch nicht abgehauen ist. Vielleicht wird sie uns erzählen, wieso und warum.

Ádám Berta kommt aus Szeged, doch auch seine Geschichte führt uns in die ungarische Hauptstadt nach Budapest, in das alte jüdische Viertel, aktuell weltbekannt als Ort für jugendliches Glück und nächtliche Ekstase, hier gibt es die besten Kneipen und Cafés der Stadt. Doch auch jetzt werden wir uns nicht amüsieren. Die Sprache ist viel nüchterner und sachlicher als die von Parti Nagy, umso kälter erwischt uns der Horror, der ganz plötzlich wie aus heiterem Himmel die sich anbahnende Urlaubsgeschichte in unvorstellbare Barbarei umschlagen lässt. Was das alles mit Philoktet zu tun hat, denn so lautet der Titel seiner Geschichte, muss uns der Autor selbst verraten, mir erschließt es sich nicht, dieses böhmische Dorf. Ist dieser Text nicht mehr als ein literarisches Spiel, oder aber ein Spiel mit der Realität, barbarischer Realismus???

Über implizit und explizit politische Dimensionen in der aktuellen Literatur beider Länder wäre nachzudenken. Kommt der Literatur erneut eine zunehmende politische Aufgabe zu? Oder ist sie vielleicht gerade dann gesellschaftlich nützlich, wenn sie sich nicht auf die Ebene frustrierter Politschlachten herunterziehen lässt?

Ungarn und die Slowakei sind nicht nur kleine östliche Randstaaten der Europäischen Union, sie sind zugleich Räume kleiner Sprachen, kleiner Literaturen. Da ist ein Schriftsteller automatisch enger gekettet an Wohl und Wehe seines Volkes. dem Glück geradezu familiärer Übersichtlichkeit steht erdrückende Enge und zwanghafte Bindung gegenüber. Der Sprung von einer großen Sprache in eine anonyme Freiheit und Spielräume der Weltliteratur ist selbstverständlicher und leichter als der Ausstieg aus einer kleinen Literatur. Dafür aber ist die Bedeutung eines Buches, die Geste eines Schriftstellers, die Kommunikation mit den Lesern menschlich spürbarer und intensiver. Wir sind in Österreich. Ist die österreichische Literatur begünstigt, weil sie die Vorteile einer kleinen mit den Vorteilen einer großen Literatur je nach Belieben verbinden kann? Oder ist sie besonders, weil doppelt gestraft durch die Nachteile beider? Um solche Fragen könnte es gehen.

Wilhelm Droste